Schon gewusst? Ein Drittel der Arten in Deutschland ist gefährdet

Für den Artenschutz in Deutschland ist es „kurz vor zwölf“

30.09.2024 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Mehr als die Hälfte der natürlichen Lebensräume in Deutschland sind in einem schlechten ökologischen Zustand. Für den Artenschutz ist es höchste Zeit (Symbolbild; Bildquelle: © Pflanzenforschung.de, erstellt mit DALL·E)

Mehr als die Hälfte der natürlichen Lebensräume in Deutschland sind in einem schlechten ökologischen Zustand. Für den Artenschutz ist es höchste Zeit (Symbolbild; Bildquelle: © Pflanzenforschung.de, erstellt mit DALL·E)

Der „Faktencheck Artenvielfalt“ zeigt erstmals umfassend den Zustand der biologischen Vielfalt in Deutschland: Mehr als die Hälfte der natürlichen Lebensräume befindet sich in einem schlechten ökologischen Zustand. Ein Drittel der untersuchten Arten ist gefährdet, und drei Prozent sind bereits ausgestorben. Hauptursachen dafür sind der Verlust von Lebensräumen und die Intensivierung der Landwirtschaft. Der Bericht fordert gezielte Maßnahmen, um den Verlust der Biodiversität zu stoppen.

Für den Faktencheck Artenvielfalt haben mehr als 150 Wissenschaftler von 75 Institutionen und Verbänden Daten aus über 6.000 Publikationen ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen eine besorgniserregende Entwicklung: Mehr als 60 Prozent der natürlichen Lebensraumtypen befinden sich in einem ökologisch unzureichenden oder schlechten Zustand. Besonders betroffen sind artenreiche Lebensräume wie Äcker, Grünland, Moore und Sümpfe. Der Verlust dieser Habitate führt zu einem Rückgang vieler Arten. Von den 72.000 in Deutschland bekannten Tier-, Pflanzen- und Pilzarten wurden 40 Prozent auf ihre Gefährdung hin untersucht, und fast ein Drittel dieser Arten gilt als bestandsgefährdet. Besonders betroffen sind Arten des Agrarlands, Insekten und Pflanzen.

Landwirtschaft ist ein Hauptreiber dieser Entwicklung

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Untersuchte Lebensräume im "Faktencheck Artenvielfalt"

Untersuchte Lebensräume im "Faktencheck Artenvielfalt"

Bildquelle: © FEdA

Die Ursachen für den Verlust der Artenvielfalt sind vielfältig. Der Bericht macht den Verlust von Lebensräumen sowie die Intensivierung der Landwirtschaft für die negativen Entwicklungen verantwortlich. Auch der Klimawandel beginnt, die Situation zu verschärfen.

Der Bericht fordert dringend Maßnahmen, um den Verlust der Artenvielfalt zu stoppen. Er betont, dass die Intensivierung der Landwirtschaft in fast allen Lebensräumen negative Auswirkungen hat und daher der größte Hebel für Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität ist. Es wird empfohlen, biodiversitätsbasierte Landnutzungssysteme zu entwickeln und moderne Technologien zur Unterstützung zu nutzen.

Technische und wissenschaftliche Innovationen als Teil der Problemlösung

In der Vergangenheit – so der Bericht – hatten wirtschaftliche und technologische Einflüsse oft negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt. Nun jedoch könnten technische Innovationen dem teilweise entgegenwirken und die biologische Vielfalt fördern.

So könnte der chemische Einsatz auf den Feldern beispielsweise durch sensorgestützte, teilflächenspezifische Düngung, Spot-Spraying über Bilderkennungsverfahren in der Unkrautkontrolle („Smart Farming“) und die Nutzung neuer Züchtungsverfahren zur Erzeugung von Sorten mit einer optimierten Nährstoffaufnahme und -nutzung erheblich reduziert werden (Forschungsbeispiele auf Pflanzenforschung.de: Spot-Farming: Alles an seinem Platz!, Flächenspritzung ade?, Reiche Kartoffelernten auch ohne Stickstoffdüngung).

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Viele Wildbienenarten sind in Deutschland bedroht. Solche Arten übernehmen als Nützlinge wichtige Ökosystemleistungen wie die Bestäubung von Kulturpflanzen.

Viele Wildbienenarten sind in Deutschland bedroht. Solche Arten übernehmen als Nützlinge wichtige Ökosystemleistungen wie die Bestäubung von Kulturpflanzen.

Bildquelle: © Drahkrub, eigenes Werk, Wikipedia Commons, CC BY-SA 4.0

Auch die Entwicklung artspezifischer Pflanzenschutzmittel, wie die RNA-Interferenzmethode zur Minimierung negativer Einflüsse auf Nützlinge und andere Nicht-Zielorganismen, wäre ein entscheidender Fortschritt (Forschungsbeispiele auf Pflanzenforschung.de: Kleine RNAs als Alternative zu chemischen Pflanzenschutzmitteln, RNA-Spray statt „chemischer Keule“, RNA-„Impfung“ gegen Krankheitserreger und Schädlinge).

Schließlich sollten innovative Züchtungsverfahren genutzt werden, um klimaresistente und ertragsstärkere Sorten zu erzeugen. Auf diese Weise könnte die landwirtschaftlich genutzte Fläche im Idealfall reduziert und naturnahe sowie artenreiche Flächen erhalten werden (Forschungsbeispiele auf Pflanzenforschung.de: Kleine nicht-kodierende RNAs entscheiden über die Sterilität bei Körnermais unter Hitzestress, Das Projekt EpiPotato will klimaresistente Kartoffeln erzeugen).

Förderungen schärfen

Auch rechtliche und förderpolitische Instrumente der Naturschutzpolitik müssen verstärkt und besser umgesetzt werden. Erfolgversprechend wären zudem finanzielle Anreize, die an den Erfolg von biodiversitätsfördernden Maßnahmen gekoppelt sind.

Der Bericht betont, dass biologisch vielfältige Ökosysteme nicht nur stabiler und widerstandsfähiger sind, sondern auch essenziell für das menschliche Wohlergehen und die Wirtschaft. Sie versorgen die Menschen mit Nahrung und Rohstoffen, schützen das Klima und halten die Nährstoffkreisläufe aufrecht. Der Erhalt der Biodiversität ist daher entscheidend für unser eigenes Überleben und die Zukunft unseres Planeten.


Quelle:

Wirth, C., Bruelheide, H., Farwig, N, Marx, J. und  Settele, J. (Herausgeber) (2024): „Faktencheck Artenvielfalt. Bestandsaufnahme und Perspektiven für den Erhalt der biologischen Vielfalt in Deutschland“ (1. Oktober 2024). Oekom-Verlag.

Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:

Titelbild: Mehr als die Hälfte der natürlichen Lebensräume in Deutschland sind in einem schlechten ökologischen Zustand. Für den Artenschutz ist es höchste Zeit (Symbolbild; Bildquelle: © Pflanzenforschung.de, erstellt mit DALL·E)