Projekt episoma: Wie werden epigenetische Mutationen stabil vererbt?

Buchen sollen die Antwort geben

24.09.2024 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

An Buchen untersucht: Können epigenetische Modifikationen stabil vererbt werden und welche Umwelteinwirkungen können sie auslösen? (Bildquelle: © Frank Johannes / Projekt episoma)

An Buchen untersucht: Können epigenetische Modifikationen stabil vererbt werden und welche Umwelteinwirkungen können sie auslösen? (Bildquelle: © Frank Johannes / Projekt episoma)

Mit phylogenetischen Methoden lässt sich untersuchen, welche epigenetischen Veränderungen im Erbgut von Bäumen von Dauer sind und wie deren Auftreten von Umweltbedingungen abhängt. Am Beispiel der Buche will das Projekt episoma so die Grundlage legen, für Züchtung und Produktion die besten Samen selektieren zu können.

Bei Pflanzen gibt es zwei Arten epigenetischer Veränderungen: Entweder tritt eine solche DNA-Modifikation als Reaktion auf bestimmte Umweltbedingungen auf. So kann die Pflanze unter Stressbedingungen die Expressionsrate relevanter Gene anpassen und so widerstandsfähiger werden. Diese epigenetischen Veränderungen werden jedoch selten über mehr als ein oder zwei Generationen an die Nachkommen weitergegeben. Anderes verhält es sich mit der zweiten Art epigenetischer DNA-Modifikationen: Sie treten stochastisch auf und können sehr stabil über unzählige Generationen vererbt werden. Diese Modifikationen sind auf bestimmte Regionen im Erbgut begrenzt, in denen die Pflanzen die epigenetischen Muster bei der Zellteilung exakt kopieren kann. Trotzdem ist auch das kein verlässlicher Prozess.

Bäume häufen Mutationen an

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Das Forschungsteam sammelte Samen von verschiedenen Ästen eines Buchenbaumes und zog daraus Keimlinge an. Sie waren das Forschungsmaterial zur Bestimmung der unterschiedlichen Epimutationen innerhalb eines Baumindividuums.

Das Forschungsteam sammelte Samen von verschiedenen Ästen eines Buchenbaumes und zog daraus Keimlinge an. Sie waren das Forschungsmaterial zur Bestimmung der unterschiedlichen Epimutationen innerhalb eines Baumindividuums.

Bildquelle: © Frank Johannes / Projekt episoma

„In Bäumen sind beide Prozesse sehr wichtig, selbst die vergänglichen“, erläutert Frank Johannes von der TU München, der das Projekt episoma koordiniert. „Selbst wenn ein Merkmal nur zur nächsten Generation weitervererbt wird, sprechen wir aufgrund der Langlebigkeit von Bäumen von Jahrhunderten, in der eine bestimmte epigenetische DNA-Modifikation bestehen bleibt. Aus anthropologischer Sicht und mit Blick auf den Klimawandel ist das von großer Bedeutung.“

Die Projektpartner und das übergeordnete Ziel

Prof. Dr. Frank Johannes (Projektkoordinator), TU München
Prof. Dr. Hans Pretzsch, TU München
Prof. Dr. Lars Opgenoorth, Universität Marburg
Prof. Dr. Katrin Heer, Universität Freiburg

Im Forschungsprojekt episoma möchte Johannes deshalb gemeinsam mit Partnern der Universität Marburg und der Universität Freiburg die epigenetischen Modifikationen in Buchen besser verstehen. Nicht zuletzt interessiert sich das Team auch dafür, wie die Position einer Zelle im Baum beeinflusst, welche epigenetischen Merkmale stabil auftreten.

Ob eine DNA-Modifikation stabil ist, lässt sich in der Regel nur klären, wenn ein Baum und seine Nachfahren über viele Generationen epigenetisch analysiert werden. Doch bei Bäumen sind die Generationsfolgen dafür viel zu lang, um innerhalb eines zeitlich begrenzten Forschungsprojektes zu einem Ergebnis zu kommen. Stattdessen lassen sich aber auch neu entstehende somatische Zellen in einem Baumindividuum als Nachkommen des einstigen Samenkorns interpretieren. „Bäume sind per se ein Mutationsakkumulationsexperiment, weil sich in ihnen somatische Mutationen über Jahrzehnte und Jahrhunderte angehäuft haben“, sagt Johannes.

Evolutionsbiologische Methoden

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Viele der untersuchten Buchen stammten aus dem Steigerwald.

Viele der untersuchten Buchen stammten aus dem Steigerwald.

Bildquelle: © Frank Johannes / Projekt episoma

Die Forscher betrachten dazu die Veränderungen von epigenetischen Mustern in den somatischen Zelllinien eines Baumes. „Die Blätter, die sich jetzt formen, haben eine Zellphylogenie, die bis auf die erste Zelle des Baums zurückführt“, erklärt der Projektkoordinator. „Darin können wir die Anhäufung von epigenetischen Modifikationen seit dem Keimbeginn eines Samens sehen.“ Diese Anhäufung ist jedoch nicht überall im Baum dieselbe. „Zwei Äste haben eine gemeinsame Vergabelung in der Vergangenheit, gewissermaßen ihr letzter gemeinsamer Vorfahre“, führt Johannes weiter aus. Die vergangene Zeit seit dieser Vergabelung bringe jedoch unabhängige Epimutationen in den beiden Ästen hervor. „Die können wir dann vergleichen, die Epimutationsrate und die Dynamik untersuchen, und ähnlich wie in der Evolutionsbiologie Rückschlüsse auf die Phylogenie ziehen.“

Als Grundlage dienen im Projekt Buchen aus dem Marburg Open Forest der Universität Marburg sowie Buchen aus dem Steigerwald. Bei Letzteren ist die Wachstumsgeschichte seit 1840 gut dokumentiert. „Dadurch haben wir historische Daten zu Wachstum und Wetterbedingungen“, sagt Johannes. „Diese Klimadaten versuchen wir mit der Anhäufung von spezifischen Epimutationen in Verbindung zu bringen.“ In einem weiteren Schritt prüfen die Forscher:innen, ob bestimmte epigenetische Muster auch die Genexpression in den Blättern verändern. Im letzten Schritt geht es dann um die Frage, ob die Epimutationen auch an die Folgegeneration vererbt werden. Dazu untersucht das Forscherteam die Samen, die die unterschiedlichen Zweige produzieren, und die daraus entstehenden Keimlinge. Epigenetische Muster, Transkriptom und Phänotyp werden mit dem „Mutterast“ verglichen.

Die Rolle der Mikroumweltbedingungen

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Die Ernte der Samen war teilweise ein heikles Unterfangen.

Die Ernte der Samen war teilweise ein heikles Unterfangen.

Bildquelle: © Frank Johannes / Projekt episoma

Ein zweiter Fokus des Projekts liegt auf der Umweltepigenetik. „Wir schauen uns die 3D-Topologie des Baumes an, messen darin mit Sensoren die Mikroumweltbedingungen innerhalb der Baumkrone und versuchen, diese mit spezifischen epigenetischen Veränderungen in Blättern und Saatgut in Verbindung zu bringen“, beschreibt Johannes das Vorgehen. So herrschen oben auf der Krone etwa zehn Grad wärmere Temperaturen als unterhalb der Krone. Weitere Parameter, die die Forscher erfassen, sind beispielsweise Luftfeuchtigkeit und Lichteinfall.

Eine Herausforderung kam überraschend: „Um das Saatgut zu analysieren, musste jemand in die Bäume hochklettern, sich in luftiger Höhe an den Ästen entlangschwingen und an deren Ende das Saatgut einsammeln“, erinnert sich Johannes. Doch dann zeigte sich ein weiteres Problem: Die Keimungsrate der Samen betrug nur zwei Prozent. Zu wenig für die weiteren Untersuchungen. Dieses Jahr wollen die Forscher:innen daher deutlich mehr Samen ernten.

Wachstumsrate und Epimutationsrate sind nahezu proportional

Einige Erkenntnisse liegen trotzdem bereits vor. Alle bisher untersuchten Bäume aus dem Steigerwald wurden seinerzeit gleichzeitig ausgesät. Einen Teil der Bäume überließen die Forstleute nach 20 Jahren sich selbst, während das Areal mit den restlichen Bäumen forstlich gepflegt wurde. „Auf der gemanagten Fläche wurde das Totholz entfernt und die Bäume hatten mehr Freiraum und weniger Konkurrenz“, berichtet Johannes. Dadurch wuchsen die Buchen fast doppelt so schnell wie ihre gleichaltrigen Pendants auf den naturbelassenen Flächen – ein Wachstum, das nicht etwa auf expandierende Zellen, sondern auf eine schnellere Zellteilung zurückzuführen war.

Die schnell wachsenden Bäume zeigten deutlich höhere Epimutationsraten, nahezu proportional zum schnelleren Wachstum. „Das ist plausibel, denn wir wissen, dass die Fehler pro Zellteilung auftreten“, erklärt der Pflanzenforscher. „Immer, wenn eine Zellteilung auftritt, müssen die Muster kopiert werden, und dabei kann es zu Fehlern kommen.“

Überraschende Beobachtung und offene Fragen

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Bucheckern, die Samen der Buchen. Wahrscheinlich haben sie ein Temperaturgedächtnis.

Bucheckern, die Samen der Buchen. Wahrscheinlich haben sie ein Temperaturgedächtnis.

Bildquelle: © Tortuosa / Wikipedia, CC BY-SA 3.0

Trotzdem ist der Befund überraschend, denn erst kürzlich hatte eine andere Studie herausgefunden, dass die Mutationen mit dem Alter des Baumes und nicht mit der Wachstumsrate proportional sind. Auch Johannes’ Arbeitsgruppe hatte unlängst gezeigt, dass altersabhängige Epimutationsrate als zuverlässige biologische Uhr verwendet werden kann, um evolutionäre Prozesse zeitlich einzuordnen. „In unserem Projekt ist aber das Alter der Bäume genau gleich und wir können die Epimutationsraten in Beziehung zu den unterschiedlichen Wachstumsraten bringen“, sagt Johannes mit Blick auf die jetzt vorliegenden Ergebnisse. Für sie hat er bereits eine mögliche Erklärung: „Erste Indizien zeigen, dass die Epimutationsuhr konstant ist, wenn man sie auf die Zahl der Generationen kalibriert. Das bedeutet, Bäume, die schneller wachsen, haben pro Jahr mehr Epimutationen, aber diese Bäume sterben auch früher.“ Die Anzahl der Epimutationen pro Generation wäre dann wohl konstant – nur nicht pro Zeiteinheit.

Künftig möchte Johannes außerdem untersuchen, wie somatische Mutationen in der Topologie des Baums verteilt werden. Oben in der Spitze des Baums gibt es geschätzt bis zu tausend Stammzellen. Wann immer ein Seitenast etabliert wird, dienen nur zwei bis fünf dieser Zellen nach einem zufälligen Muster als Gründerzellen für einen neuen Ast. Um besser zu verstehen, wie Epimutationen in den Ästen verteilt werden, müsste man daher verstehen, wovon es abhängt, wie viele Zellen zur Astbildung ausgewählt werden. Weil das empirisch praktisch nicht zu untersuchen ist, würde der Forscher dazu gern eine Einzelzell-DNA-Methylierungsmessung durchführen. „Aber das ist technisch sehr schwierig und hat meines Wissens noch keiner in Pflanzen gemacht“, sagt Johannes. Er zeigt sich jedoch zuversichtlich, das mit seinem Team hinzubekommen. Dann wäre es möglich, sich die Population der Stammzellen eines wachsenden Astes anzuschauen, die Phylogenie der Zellen zu rekonstruieren und daraus die Anzahl von Zellen abzuschätzen, die an der Vergabelung beteiligt sind.

Potential für die Saatgutselektion

Jenseits der Grundlagenforschung könnte das Projekt auch einige für die Praxis relevante Ergebnisse hervorbringen, z.B. um den Wald besser an den Klimawandel anzupassen: „Wenn das Saatgut der höheren Krone, das zeitlebens mehr Wärme ausgesetzt war, ein Temperaturgedächtnis hat und die nächste Generation dadurch hitzeresistenter ist, wäre das sehr interessant“, findet Johannes. Dann sollte künftig Saatgut am besten nur noch aus diesem Teil des Baumes gewonnen werden. Generell resümiert der Forscher: „Wenn es uns gelingt, epigenetische Biomarker für verschiedene Baumeigenschaften zu etablieren, kann man schon am Sämling feststellen, ob der zukünftige Baum eine bessere Leistung erbringt.“


Publikationen:

  • Thanh Vo B, Mas P, Johannes F* (2024). Time's up: Epigenetic clocks in plants.  Current Opinion in Plant Biology 81:102602.
  • Chen Y, Burian A, Johannes F* (2024). Somatic epigenetic drift during shoot branching: a cell lineage-based model. Genetics iyae091, https://doi.org/10.1093/genetics/iyae091
  • Johannes F. (2024). Allometric scaling of somatic mutation and epimutation rates in trees. BioRxiv doi: https://doi.org/10.1101/2024.07.01.601331
  • Zhou M, Schmied G, Bradatsch M, Resente G, Hazarika R, Kakoulidou I, Costa M, Serra M, Uhl E, Schmitz RJ, Hilmers T, Toraño Caicoya A, Crivellaro A, Pretzsch H*, Johannes F*. Accelerated growth increases the somatic epimutation rate in trees. BioRxiv doi: https://doi.org/10.1101/2024.05.07.592680

Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:

Titelbild: An Buchen untersucht: Können epigenetische Modifikationen stabil vererbt werden und welche Umwelteinwirkungen können sie auslösen? (Bildquelle: © Frank Johannes / Projekt episoma)