Ökosystemleistungen

Klimawandel könnte Artenverlust auch im 21. Jahrhundert auf Katastrophen-Niveau halten

06.08.2024 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Brandrodung zur Gewinnung landwirtschaftlicher Flächen. Solche Landnutzungsänderungen auf Kosten von tropischen Wäldern tragen neben dem Klimawandel stark zum Verlust der Artenvielfalt bei. (Bildquelle: © Jami Dwyer, gemeinfrei / Wikipedia)

Brandrodung zur Gewinnung landwirtschaftlicher Flächen. Solche Landnutzungsänderungen auf Kosten von tropischen Wäldern tragen neben dem Klimawandel stark zum Verlust der Artenvielfalt bei. (Bildquelle: © Jami Dwyer, gemeinfrei / Wikipedia)

Klimakrise und Landnutzungsänderungen bedrohen die menschliche Existenzgrundlage, denn sie führen zu einem massiven Artenverlust und schädigen damit wichtige Ökosystemleistungen. Die bislang umfassendste Studie zeigt jetzt: Die internationalen Nachhaltigkeitsziele lassen sich nur mit schnellem und konsequentem Klimaschutz erreichen.

Es ist die vielleicht umfassendste globale Modellierung von Artenvielfalt und Ökosystemleistungen, die ein internationales Forschungsteam unter Federführung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig und der Martin-Luther-Universität Halle unlängst veröffentlicht hat. Demnach ist die Artenvielfalt im 20. Jahrhundert um zwei bis elf Prozent zurückgegangen. Mit dem Artenverlust einher ging eine starke Zunahme der Nutzung von Ökosystemleistungen bei leicht abgeschwächter Regeneration. In diesem Jahrhundert könnte sich der Trend dank politischer Maßnahmen etwas abschwächen – wäre da nicht der fortschreitende Klimawandel. Weitere politische Anstrengungen sind demnach unbedingt nötig, um die internationalen Ziele des Artenschutzes zu erreichen.

Unterschiedliche Ansätze und Modelle verbinden

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Agroforstsysteme sind eine Möglichkeit, den Schutz der Artenvielfalt mit der Landwirtschaft zu verbinden.

Agroforstsysteme sind eine Möglichkeit, den Schutz der Artenvielfalt mit der Landwirtschaft zu verbinden.

Bildquelle: © Marco Schmidt / Wikimedia; CC-BY-SA 2.5

Modellierungen der Artenvielfalt und der Ökosystemleistungen hat es schon zuvor gegeben. Doch deren Prognosen sind schwer zu vergleichen, weil manche Studien für ihre Szenarien nur ein Modell nutzen und darin nur eine Facette der Biodiversität analysieren. Studien, die mehrere Modelle verwenden, basieren meist auf unterschiedlichen Projektionen für Landnutzung und Klimawandel. Die neue Studie vergleicht daher Projektionen für Biodiversität und Ökosystemleistungen auf der Basis von Rekonstruktionen der Landnutzungsänderung und des Klimawandels zwischen 1900 und 2015 und entwickelt davon ausgehen drei Szenarien für die Jahre 2015 bis 2050.

Auf diese Weise will das Forschungsteam zwei Fragen beantworten: Vor allem geht es darum vorherzusagen, wie sich Landnutzung und Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten auf die vielen Facetten der Artenvielfalt auswirken werden, verglichen mit den Einflüssen im 20. Jahrhundert. Nicht zuletzt soll aber auch herausgearbeitet werden, wie sehr sich Abweichungen bei den vorhergesagten Auswirkungen auf Unterschiede in den angenommenen Pfaden der Szenarien zurückführen lassen, und welchen Anteil Abweichungen zwischen den Modellen haben.

Historische Daten und Prognosen von 1900 bis 2050

Als Grundlage verwenden die Forscher drei Kombinationen internationaler Standardpfade, die auch im Weltklimabericht zugrunde gelegt sind. Konkret verwendet die Studie die gemeinsam genutzten sozioökonomischen Pfade (SSP) und die repräsentativen Konzentrationspfade (RCP). Das erste Szenario entspricht dabei der Idee der globalen Nachhaltigkeit mit geringem Klimawandel und geringen Landnutzungsänderungen, das zweite Szenario beschreibt eine regionale Konkurrenz infolge mittelstarker Klimaveränderungen und großer Landnutzungsänderungen. Das Worst-Case-Szenario ist ein Weiter-so, mit starkem Klimawandel und mittelstarken Landnutzungsänderungen. In allen drei Szenarien betrachten die Forscher:innen sowohl die Effekte der Landnutzungsänderung für sich als auch in Kombination mit den Folgen des Klimawandels.

Um die Auswirkungen zu modellieren, kombiniert das Team acht Modelle der Biodiversität mit unterschiedlichen Ansätzen – etwa zur Artenverteilung oder Dosis-Wirkung-Bezügen, sowie fünf Modelle der Ökosystemfunktionen und -leistungen, darunter globale Vegetationsmodelle und GIS-basierte Modelle. Als Datenbasis dienen unter anderem globale Karten für zwölf Landnutzungstypen und Klimaparameter der Jahre 1900 bis 2050.

Stopp des Artensterbens nur unterhalb der Zwei-Grad-Grenze

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Ackerrandstreifen schützen nicht nur die Artenvielfalt, sie verbessern auch die Ökosystemleistungen.

Ackerrandstreifen schützen nicht nur die Artenvielfalt, sie verbessern auch die Ökosystemleistungen.

Bildquelle: © Luc Viatour, Lucnix.be / Wikimedia; CC-BY-SA-3.0-migrated

Betrachtete das Team isoliert die Landnutzungsänderungen, zeichnete sich für das Nachhaltigkeitsszenario ab, dass sich der Verlust der Artenvielfalt verlangsamt. In den anderen beiden Szenarien bliebe die Verlustrate gleich. Betrachtete das Team jedoch zusätzlich, wie sich der Klimawandel auswirkt, könnte sich das Tempo des Artensterbens in den kommenden Jahrzehnten gegenüber dem Durchschnitt des vergangenen Jahrhunderts auf das Fünffache weiter erhöhen. Im Fall des Nachhaltigkeitsszenarios – bei dem die Klimaerwärmung auf unter zwei Grad begrenzt bliebe – wäre der Artenverlust bis 2050 allerdings um 40 bis 71 Prozent schwächer als im Weiter-so-Szenario ohne nennenswerte Klimaschutzanstrengungen. Noch größere Unterschiede erwartet die Modellierung für die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts.

Die Studie zeigte außerdem, dass globale Modelle starke regionale Artenverluste häufig nicht erkennen können. Künftig dürfte dieser regionale Verlust vor allem das Amazonasgebiet und Zentralafrika betreffen, wo zusätzlich viel Weideland entstehen könnte. Andere Regionen, die Weideflächen verringern und die Forstwirtschaft reduzieren, könnten sogar wieder eine steigende Artenvielfalt erleben – darunter auch Teile Westeuropas. Voraussetzung wäre jedoch, dass die Zwei-Grad-Grenze nicht überschritten wird. Selbst dann wären diese Regionen aber weit von einer intakten Biodiversität entfernt: Um 1900 war die Artenvielfalt in West- und Mitteleuropa zu 76 Prozent intakt. Ohne weiteren Klimawandel könnte sie sich bis 2050 lediglich auf 78 Prozent erholen. Immerhin: Während die meisten Modelle selbst im Nachhaltigkeitsszenario global betrachtet Verluste der Artenvielfalt erwarten, gibt es einzelne Modelle, die global eine teilweise Erholung sehen.

Je nach Szenario unterschiedliche Regionen stärker betroffen

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Wildbienen und andere Insekten erbringen wichtige Bestäubungsleistungen, die jedoch durch Landnutzungsänderungen und Klimakrise bedroht sind.

Wildbienen und andere Insekten erbringen wichtige Bestäubungsleistungen, die jedoch durch Landnutzungsänderungen und Klimakrise bedroht sind.

Bildquelle: © Jürgen Hamann / Wikimedia; CC-BY-SA-4.0

Insgesamt zeigen die drei Szenarien große regionale Unterschiede, wie sich Landnutzungsänderungen auswirken. Im Nachhaltigkeitsszenario gibt es geringe weitere Landnutzungsänderungen und damit auf allen Kontinenten eine gewisse Erholung der Artenvielfalt. Im Szenario der regionalen Konkurrenz erlebt vor allem Afrika große Verluste, während es in Teilen von Nordamerika, Europa und Nordasien zu einer teilweisen Erholung kommt. Im Weiter-so-Szenario führt eine weitere Globalisierung dazu, dass vor allem der Südosten Südamerikas, Zentralafrika, Ostafrika und Südasien große Artenverluste erleiden. Betrachten die Modelle zusätzlich den Klimawandel, verstärkt sich das Artensterben in den meisten Teilen der Welt. Vor allem heutige Biodiversitäts-Hotspots wie die Neotropis und die Afrotropis wären stark betroffen.

Für die Ökosystemleistungen bedeutet das, dass bestehende Trends sich fortsetzen werden: Die Menschheit wird noch stärker Holz und Nahrung aus den Ökosystemen entnehmen, während etwa Bestäubungsleistungen und Nährstoffrückhalt sich abschwächen. Am wenigsten stark wären diese Entwicklungen im Nachhaltigkeitsszenario, wo geringes Bevölkerungswachstum, gesündere Ernährungsweisen und weniger Lebensmittelabfälle die Nachfrage nach Lebens- und Futtermitteln sowie Holz begrenzen. Zusammen mit Produktivitätsgewinnen in der Landwirtschaft und weiteren Umweltschutzmaßnahmen könnte das zumindest in einigen Weltregionen manche regulierenden Ökosystemleistungen verbessern. Allerdings geht das Nachhaltigkeitsszenario mit der stärksten Nutzung von Bioenergie einher, was sich über Landnutzungsänderungen negativ auf die Artenvielfalt auswirkt.

Ökodienstleistungen für die Landwirtschaft gefährdet

In beiden anderen Szenarien würden sich etwa die natürliche Schädlingskontrolle, Erosionsschutz, Bestäubungsleistungen und Stickstoffrückhaltung verschlechtern. Dabei erweisen sich die erhöhten Landnutzungsänderungen im mittleren Szenario als noch gravierender als die Klimawandelfolgen im Weiter-so-Szenario. Das zeigt auch die historische Analyse: Im 20. Jahrhundert sind demnach rund 200.000 Arten allein infolge von Landnutzungsänderungen ausgestorben. Nicht zu vergessen ist dabei, dass das Aussterben einer Art meist erst zeitversetzt auf den Habitatsverlust folgt. Zukünftige Artenverluste sind damit bereits durch erfolgte Landnutzungsänderungen vorprogrammiert.

Unter dem Strich belegt die bislang umfassendste Studie ihrer Art, wie sehr die menschliche Ernährung und unsere Wirtschaftsgrundlagen durch Landnutzungsänderungen und Klimakrise bedroht sind. Die damit verbundenen Artenverluste verringern die Ökosystemleistungen teils dramatisch. Wichtig wäre daher, nicht nur weitere Landnutzungen zu begrenzen, sondern erfolgte Änderungen umzukehren – etwa Moore wiederzuvernässen und Wälder aufzuforsten. Nicht zuletzt geht es darum, internationale Vereinbarungen einzuhalten. Die sehen vor, den Verlust bedrohter Arten bis 2050 zu stoppen und für alle anderen Arten um den Faktor zehn zu reduzieren. Ökosystemleistungen sollen bis 2050 vollständig wiederhergestellt sein. Diesem Ziel nah kommen die Prognosen der neuen Studie nur im Nachhaltigkeitsszenario.


Quelle:
Pereira, H. M., et al. (2024): „Global trends and scenarios for terrestrial biodiversity and ecosystem services from 1900 to 2050“. In: Science, 384, 458-465 (26. April 2024). doi: 10.1126/science.adn3441

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Titelbild: Brandrodung zur Gewinnung landwirtschaftlicher Flächen. Solche Landnutzungsänderungen auf Kosten von tropischen Wäldern tragen neben dem Klimawandel stark zum Verlust der Artenvielfalt bei. (Bildquelle: © Jami Dwyer, gemeinfrei / Wikipedia)